Stromsteuer: BFH-Urteil zur Verzinsung einer unionsrechtswidrig erhobenen Steuer
Mit Urteil vom 15. November 2022, VII R 29/21 (VII R 17/18) hat der Bundesfinanzhof (BFH) die Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Zinsanspruch fortgeführt und die Verzinsung zu Unrecht erhobener Steuerbeträge auch für fakultative Steuerbegünstigungen bei der Stromsteuer bestätigt.
Ausgangssituation
Die Klägerin erklärte in ihrer Stromsteueranmeldung für das Jahr 2010 eine bestimmte Strommenge als gemäß § 9 Abs. 3 des StromStG (a. F.) begünstigten Eigenverbrauch. Das beklagte Hauptzollamt erließ einen von der Erklärung abweichenden Stromsteuerbescheid, der zunächst zu einer Erhöhung der Steuer führte. Hiergegen wehrte sich Klägerin und bekam den ermäßigten Steuersatz letztlich auch zugesprochen. Im Anschluss beantragte die Klägerin auch die Festsetzung von Zinsen im Hinblick auf die für das Jahr 2010 erstattete Stromsteuer, was das HZA ablehnte, weshalb es zum Klageverfahren kam. Das Finanzgericht urteilte zunächst, die Klägerin habe weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht einen Anspruch auf die begehrte Verzinsung. Die Revision der Klägerin beim BFH führte zur Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an den EuGH, welcher die Verzinsung des Erstattungsbetrags auf Grundlage des Unionsrechts bejaht.
Erwägungen des BFH und EuGH
Auch bei Verstößen im Bereich der fakultativen Steuerbegünstigungen (solchen mit einem eigenen Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten) resultiert ein Verzinsungsanspruch aus dem Unionsrecht. Es ist ein Grundsatz des Unionsrechts, dass nicht nur ein Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht erhobenen Steuer besteht, sondern auch hinsichtlich der Beträge, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Steuer an diesen Staat gezahlt oder von diesem einbehalten worden sind. Darunter fallen auch die Einbußen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen infolge der vorzeitigen Fälligkeit der Steuer. Demnach ergibt sich der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Steuerbeträge zuzüglich Zinsen zu erstatten, direkt aus dem Unionsrecht. Einer nationalen Rechtsgrundlage bedarf es dafür nicht.
Nach den vom EuGH entwickelten Grundsätzen besteht ein Anspruch auf Verzinsung auch dann, wenn die zu Unrecht erhobene Steuer auf der Grundlage einer fakultativen Steuerbegünstigung festgesetzt und entrichtet wurde, weil der Steuerpflichtige auch in diesem Fall nicht über den entrichteten Betrag verfügen konnte und dieser Liquiditätsnachteil auszugleichen ist.
Der Zinslauf beginnt überdies bereits mit der Entrichtung der Vorauszahlungen. Für die Berechnung des Zinsbetrages ist der gesamte Zeitraum ab Leistung der jeweiligen Vorauszahlung bis zur Erstattung der überzahlten Stromsteuer zugrunde zu legen. Denn nur dann ist eine angemessene Entschädigung für die erlittenen Einbußen zu ermöglichen, wenn die Zinsen den Gesamtzeitraum abdecken, der je nach Lage des Falls zwischen dem Tag, an dem der Betroffene den fraglichen Geldbetrag entrichtet hat oder hätte erhalten sollen, und dem Tag liegt, an dem dieser ihm erstattet wurde. Die in § 238 AO vorgesehene Beschränkung auf volle Zinsmonate widerspräche hierbei dem Effektivitätsgrundsatz. Der Zinssatz beträgt gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung 0,5 % pro Monat.
Leitsätze
1. Wurde eine nach Unionsrecht fakultative Steuerbegünstigung (hier: ermäßigter Steuersatz nach § 9 Abs. 3 StromStG a.F.) zu Unrecht nicht gewährt, so dass der Steuerpflichtige Vorauszahlungen geleistet hat, ist ein daraus resultierender Erstattungsanspruch zu verzinsen.
2. Der Verzinsungszeitraum beginnt mit der Leistung der jeweiligen Vorauszahlung und endet mit der Erstattung des unter Verstoß gegen Unionsrecht festgesetzten Steuerbetrags.
3. Die Pflicht zur Verzinsung erstreckt sich auf den gesamten Zeitraum, in dem der Betrag dem Steuerschuldner nicht zur Verfügung stand, nicht nur auf volle Zinsmonate gemäß § 238 Abs. 1 Satz 2 AO.
Hinweis für die Praxis
Die Rechtsprechungslinie von EuGH und BFH zur Verzinsung einer unionsrechtswidrig erhobenen Steuer stärkt die Rechtsstellung der Unternehmen gegenüber den Hauptzollämtern. In Fällen von erst nachträglich gewährten Steuerbegünstigungen bei der Strom- und Energiesteuer (wie auch den übrigen Verbrauchsteuern) sollten daher stets auch mögliche Zinsansprüche überprüft und geltend gemacht werden.
Für Fragen zu dieser Thematik steht Ihnen der Verfasser dieser Meldung, Rechtsanwalt Stefan Ulrich, gerne zur Verfügung.
Quelle:
https://www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202310117/