EuGH-Urteil zum Begriff und zur Feststellung eines "unvorhersehbaren Ereignisses"
Der Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) hat sich in seiner kürzlich ergangene Entscheidung vom 18. April 2024 in der Rechtssache Girelli Alcool Srl (C‑509/22) mit dem in der nicht mehr gültigen Verbrauchsteuer-Systemrichtline 2008/118/EG verwendeten Begriff des unvorhersehbaren Ereignisses auseinandergesetzt.
Das Vorabentscheidungsersuchen wurde von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) eingereicht und betrifft das ausgesetzte Verfahren der Agenzia delle Dogane e dei Monopoli (Zoll- und Monopolagentur, Italien) gegen die Girelli Alcool Srl. Girelli ist Inhaber einer Erlaubnis zur Vergällung von Alkohol, wobei durch einen Fehler eines Mitarbeiters Alkohol unkontrolliert auslief und damit unwiderbringlich verlorenging. Die Frage war, ob dafür die Steuer entstand, was letztlich der EuGH ausschloss, weil der Mitarbeiter nicht grob fahrlässig handelte und der Verlust des Alkohols durch die Vergällungserlaubnis gedeckt war.
Die vier Kernfragen, die dem Gerichtshof vorgelegt wurden, drehten sich um die Definition von "unvorhersehbaren Ereignissen" und deren Feststellung gemäß Art. 7 Abs. 4 der genannten Verbrauchsteuer-Richtlinie, wenn verbrauchsteuerpflichtige Waren zerstört werden oder unwiderbringlich verloren gehen. Der Gerichtshof entschied, dass der Begriff "unvorhersehbare Ereignisse" als auch "höhere Gewalt" sich auf Umstände beziehen, die außerhalb der Kontrolle der betroffenen Partei liegen, ungewöhnlich und unvorhersehbar sind und trotz angemessener Sorgfalt der betroffenen Partei nicht hätten vermieden werden können.
Entscheidend ist, dass eine Handlung, die zu einem vollständigen Verlust oder einer Zerstörung verbrauchsteuerpflichtiger Waren führt, nur dann als Folge eines unvorhersehbaren Ereignisses betrachtet werden kann, wenn sie außerhalb der Verantwortung des Handelnden liegt und dieser angemessenen Sorgfalt angewendet hat, um sich gegen die Folgen zu schützen. Diese Person darf also nicht grob schuldhaft gehandelt haben.
Darüber hinaus stellte der Gerichtshof fest, dass eine nationale Regelung, die alle Handlungen, die einem Steuerschuldner zurechenbar sind und kein grobes Verschulden darstellen, automatisch als unvorhersehbare Ereignisse oder höhere Gewalt einstuft, im Widerspruch zu Art. 7 Abs. 4 der Systemrichtlinie steht. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn die Handlung im Rahmen einer zuvor erteilten Genehmigung (im Fall die Vergällung/Ungenießbarmachung von Alkohol) erfolgte, da in diesem Fall gem. Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 3 der Systemrichtlinie der Verlust nicht als Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr betrachtet wird. Dies setzt jedoch voraus, die Handlung nicht grob fahrlässig erfolgte.
Das EuGH-Urteil zeigt, dass trotz eines Verlustes von verbrauchsteuerpflichtigen Erzeugnissen, die der vorgesehenen Zweckbestimmung nicht mehr zugeführt werden können, dennoch eine Besteuerung erfolgen kann. Gerade dann, wenn es um unvorhergesehene Ereignisse geht, droht eine Besteuerung, wenn der Verlust der Waren auf ein grobes Verschulden des Steuerpflichtigen oder seiner eigenen Mitarbeiter zurückzuführen ist. Daher ist Unternehmen gut beraten darauf zu achten, dass der Zoll keinen Vorwurf groben Verschuldens erhebt.
Zu beachten ist, dass die Entscheidung zwar zur nicht mehr gültigen Systemrichtlinie erging, aber auch in Art. 6 Abs. 5 der neuen Systemrichtlinie 2020/262/EU findet sich eine identische Regelung zu unvorhersehbaren Ereignissen, so dass die vorliegende Entscheidung auch dort berücksichtigt werden dürfte.
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