EuGH: Umfang der Steuerbefreiungen für Strom zur Stromerzeugung bei Kohlekraftwerken

Der EuGH hat mit Urteil vom 9. März 2023 in der Rechtssache RWE Power Aktiengesellschaft (C‑571/21) Stellung bezogen zum Umfang von Steuerbefreiungen für „Strom zur Stromerzeugung“ bei Kohlekraftwerken und dabei den Anwendungsbereich der Steuerbegünstigung deutlich weiter interpretiert als die deutsche Zollverwaltung.

Über ein Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts (FG) Düsseldorf hatte der EuGH zu urteilen, in welchem das Hauptzollamt Duisburg der RWE Power AG die Steuerbefreiung auf Stromverbräuche für die Stromerzeugung in deren Braunkohletagebauen und -kraftwerken zum Teil verwehrte. Inhaltlich setzte der EuGH dabei der bisher national vorherrschenden restriktiven Auffassung in der Zollverwaltung und Rechtsprechung deutliche Grenzen.

Hintergrund und Vorlagefragen

Strom, der zur Stromerzeugung verwendet wird („Strom zu Stromerzeugung“), ist nach dem Unionsrecht (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/96/EG) von der Stromsteuer zu befreien (obligatorische Steuerbefreiung). Dies ist in § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG in das nationale Recht umgesetzt. Allerdings ist der Anwendungsbereich der Vorschrift bzw. der Umfang der Befreiung seit jeher stark umstritten. Die Generalzolldirektion (GZD) hatte noch am 26. September 2022 ein neues Schreiben „Informationen zur steuerbegünstigten Entnahme von Strom zur Stromerzeugung nach § 9 Absatz 1 Nummer 2 Stromsteuergesetz“ veröffentlicht, worin sie den restriktiven Umgang der Zollverwaltung mit der Vorschrift erneut bestätigte.

Nun legte das FG Düsseldorf mit Beschluss vom 06. September 2021 den EuGH zwei Fragen zum konkreten Umfang der Steuerbefreiung im Rahmen der Kohleverstromung aus Tagebauen vor: Erstens zum möglichen Einbezug der Prozesse von Kohleförderung bis hin zur -aufbereitung in die Befreiung und zweitens zur möglichen Begünstigung des Strombedarfs von betriebsnotwendigen Transport- und Lagereinrichtungen.

Entscheidung des EuGH zur ersten Frage

Bezüglich der ersten Frage, ob die o. g. Vorschrift so auszulegen sei, dass auch der Strom von der Steuerbefreiung umfasst ist, der bei der Förderung der Braunkohle im Tagebau und der anschließenden Umwandlung und Aufbereitung im Kraftwerk zum Zwecke der Stromerzeugung verwendet wird, bestätigte der EuGH zunächst die enge Auffassung, dass der Strom, der zur Brennstoffherstellung verwendet wird, nicht begünstigt werden soll. Jedoch kann sich nach Auffassung des EuGH die Steuerbefreiung gleichwohl auf die sich daran anschließende Umwandlung und Aufbereitung dieses Energieerzeugnisses in Kraftwerken zum Zweck der Stromerzeugung erstrecken, wenn diese Vorgänge für den technologischen Prozess der Stromerzeugung unentbehrlich sind und hierzu unmittelbar beitragen. Als begünstigte Umwandlungs- und Aufbereitungshandlungen werden dabei konkrete Vorgänge wie das Brechen, das Abscheiden von Fremdteilen, das Zerkleinern und das Trocknen der Kohle genannt, solange diese Vorgänge für den Prozess der Stromerzeugung unentbehrlich sind und hierzu unmittelbar beitragen. Demgegenüber soll die Steuerbefreiung nicht die Verwendung elektrischen Stroms erfassen, die lediglich im (bloßen) Zusammenhang mit dem Prozess der Stromerzeugung vorkommt, wie z. B. bei dem elektrischen Strom, der in den Verwaltungsgebäuden eines Kraftwerks verbraucht wird.

Entscheidung des EuGH zur zweiten Frage

Mit der zweiten Frage begehrte das FG Düsseldorf die Klärung der Frage, ob auch solcher Strom begünstigungsfähig ist, der für den Betrieb von (Bunker-)Anlagen zur Lagerung eines Energieerzeugnisses wie Braunkohle und von Transportmitteln bestimmt ist, die für den dauerhaften Betrieb der Kraftwerke erforderlich sind. Die Befreiung kann nach Auffassung des EuGH gewährt werden, wenn diese Vorgänge sich unmittelbar innerhalb des Kraftwerksbetriebs abspielen und sofern sie für die Aufrechterhaltung der Fähigkeit des technologischen Prozesses, elektrischen Strom zu erzeugen, unentbehrlich sind und hierzu unmittelbar beitragen, weil diese Vorgänge erforderlich sind, um die Aufrechterhaltung der Fähigkeit einer ununterbrochenen Stromerzeugung zu gewährleisten. Dies sei hinsichtlich der Zwischenlagerung der Kohle (außerhalb des Kraftwerks) sowie der Transporte aus dem Tagebau bis zum Kraftwerk nach Meinung des EuGH eher nicht der Fall, da diese Prozesse mehr dem Bereich der Kohleförderung, also der Brennstoffherstellung, zuzuordnen seien. Jedoch seien die im Kraftwerk stattfindenden Vorgänge der Lagerung und des Transports der Braunkohle als für die Aufrechterhaltung der Fähigkeit des technologischen Prozesses, elektrischen Strom zu erzeugen, unentbehrlich und hierzu unmittelbar beitragend anzusehen, so dass solche Vorgänge nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der RL 2003/96 von der Steuer befreit werden könnten. Bei seiner Begründung der weiten Interpretation der Vorschrift hebt der EuGH insbesondere auch deren Wortlaut hervor, aus welchem folgt, dass die in der zweiten Alternative (Aufrechterhaltung) vorgesehene Steuerbefreiung nicht auf Tätigkeiten im Bereich der Stromerzeugung abzielt, sondern auf die Verwendung von elektrischem Strom, die dieser Erzeugung vor- oder nachgelagert ist, wenn diese Verwendung zur Aufrechterhaltung der Fähigkeit, elektrischen Strom zu erzeugen, dient.

Hinweis für die Praxis

Da die jüngste Rechtsprechung des EuGH teils im Widerspruch zu der noch vorherrschenden Meinung bei der Zollverwaltung steht, sollten Unternehmen ihre Stromerzeugungsprozesse und Mengenabgrenzungen erneut überprüfen und sich gegen eine ggf. zu strenge Auslegung oder Versagung der Stromsteuerbefreiungen für „Strom zur Stromerzeugung“ durch die Zollverwaltung wehren.

Für Fragen zu dieser Thematik steht Ihnen der Verfasser dieser Meldung, Rechtsanwalt Stefan Ulrich, gerne zur Verfügung.

Quelle:

EuGH, Urteil vom 09. März 2023 – C-571/21, RWE Power